Dienstag, 13. Oktober 2015

Geistliches "Rum"-Geflüster - Mr. Rackham

Ein Geräusch!
Reckham fährt auf.
Er steht auf und späht in die Dunkelheit.
Nichts.
Wieder ein Geräusch!
Nicht das Knarren der Holzdielen oder das nasse Rauschen der Wellen, die entfernt gegen den Bug des Schiffes schlugen, etwas anderes.

Reckhams Augen gewöhnen sich nur sehr langsam an die Finsternis. Das verfluchte Alter. Viel zu schleppend wankt er durch die Kajüte und begibt sich zum Aufgang. Er öffnet die Tür, um auf den Gang dahinter zu gelangen, als er jäh nach Luft schnappt.

"Grundgütiger"

Reckham stößt ein leises Keuchen aus, doch fängt sich rasch wieder.
Vor ihm steht ein Mann, irgendetwas an ihm scheint bekannt ... eine entfernte Ähnlichkeit ... ein Gedanke, der noch nicht recht zu fassen ist.
Reckhams Hand fährt wie im Affekt auf, eine Geste die über die Jahre zu Eigen geworden war. Eine flüchtige Berührung mit den Fingern an dem großen Ohrring, der dort an seiner Seite baumelt.
Kein nervöser Tick, denn wer Reckham kennt, weiß dass er sich mit einem Zauber wappnet.
Doch dann zögert er.

"Wer seid Ihr? Was tut Ihr hier?"

"Ihr ... äh ... Ihr könnt mich sehen? Und auch hören?"

Ein Hoffnungsschimmer zieht über das vergrämt dreinblickende Gesicht des Unbekannten.
Wieder ist es Reckhams Hand die vorzuckt, als wolle sie die Gestalt vor sich greifen. Wieder hält er inne. 

"Ich kann euch sehen", stellt er fest. "Aber ich habe das Gefühl, dass ich das noch bereuen werde. Gebt euch zu erkennen! Freund oder Feind?"

Ein herzliches Grinsen erstrahlt und Reckham bemerkt dass der Fremde ihm am liebsten umarmt hätte, sich aber gerade noch zügelt.


"Mein Name ist Arron Ivy! Ich kann gar nicht sagen wir froh ich bin Euch kennenzulernen ... Ihr seid der Bootsmann, richtig? Reckle .. äh Mr. Reckham ist Euer Name? Ich hörte die Crew von Euch sprechen! Sagt was macht Ihr hier?"

Die Antwort ist knapp und gleicht einem Bellen: "Ja, der Bootsmann. Richtig".
Der alte Pirat tritt einen Schritt näher auf Arron zu und mustert ihn eindringlich, ganz so als könne er nicht glauben, was er da sähe. "Die Fragen stelle ich hier", stellt er fest und knurrt. "Und ich möchte jetzt wissen, wie ihr auf mein Schiff gekommen seid."

Den ruppigen Ton überhörend schaut sich Arron um: "Euer Schiff? Ja das macht Sinn, schließlich ist dies Euer Traum ... nun, nehmen wir einmal an, das ich ein unfreiwilliger Passagier bin ... ach was soll das ... ich bin ein Geist und wohne in der Quartierkiste der Reef Claw. Ihr seid der Erste, mit dem ich seit ... seit meinem Unfall spreche! Ihr glaubt gar nicht, wie froh mich das macht!
Alleine dafür schulde ich Euch einen Gefallen! Kann ich etwas für Euch tun?"

"Bei den neun Höllen", haucht der alte Pirat und schaut sich um. "Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich eure dreckige Visage schon einmal erblickte. Ein Geist wollt ihr sein? Von welchem Unfall sprecht ihr. Wer seid ihr verdammt?"
Ehrliche Verwirrung kriecht in die faltigen Gesichtszüge und verweilt dort für einen kurzen Moment.
"Was könnt ihr schon für mich tun?"

"Nun außer Reden kann ich in der Tat nicht viel ... vielleicht könnten wir uns setzen und Ihr erzählt mir Eure Geschichte?"

"Was kann ein alter Mann schon erzählen? Die Götter haben sich von mir abgewendet. Schon vor langer Zeit."

"Seht Ihr, da haben wir schon etwas gemeinsam ... genau dieses Gefühl hatte ich bis vor kurzem ebenfalls ... bis ich in Euren Traum gestolpert bin. Was verleitet Euch zu der Annahme nicht in der Gunst der Götter zu stehen?"

Resignierend seufzt Reckham und scheint sich für den Augenblick damit zu begnügen, dass er entweder auf gutem Wege war den Verstand nun endgültig zu verlieren oder dass er sich tatsächlich in einem Traum mit einem Geist unterhielt. "Ich habe alles verloren mein Freund. Die Welt existiert nur noch, damit sie mich jeden Tag aufs Neue quälen kann.
Die Götter haben mir mein Eheweib genommen und mich meiner Tochter beraubt. Und egal welchen Weg ich beschreite, ich entferne mich mit jedem Schritt von einem Leben in Frieden…"

Reckham und Arron setzen sich und der Geist ermuntert den Bootsman seine Geschichte zu erzählen …

Nachts ist es am schlimmsten.
Das Knirschen der Planken wiegt einen alten Seebären nur allzu schnell in einen leichten Schlaf. Und wenn das hole Raunen des Windes durch eine achtlos offen gelassene Luke pfeift, wird der Atem ruhiger und ruhiger.
Die Wellen klatschen an die durch die Jahre gehärtete Hülle der Reef Claw und nur wenige Zentimeter trennen die Mannschaft von der kalten See.
Die Luft ist unter Deck eine dicke, träge Masse und der Geruch von billigem Grog zieht von einem Ende des Raumes zum anderen. Nicht nur einer der Seemänner hatte die harte Arbeit des Tages mit einem guten Schluck aus einem abgeranzten Becher oder gar direkt aus dem Fass gewürdigt.
Dort, in der kargen Unterkunft liegt ein regloser Körper. Reckham rührt sich nicht. Er gibt keinen Laut von sich, nicht das leiseste Geräusch. Er schläft.
Eine Stimme: „Warum hast du mich nicht gerettet?“
Reckham antwortet, - nicht schlaftrunken, sondern hellwach: „Ich wollte…“
Die Stimme gehört einer jungen Frau. Sie klingt verzweifelt. „Vater…“, beginnt sie, doch dann mit einem traurigen und anklagenden Unterton fährt sie fort: „Du hättest mich befreien können. Befreien müssen.“
„Ich konnte nicht. Es war…“, seine Stimme bricht, „Sie waren zu viele.“
Doch das ist nicht die Wahrheit, zumindest nicht die Ganze. An jenem Abend sind es viele gewesen, aber das ist nicht entscheidend. Denn Reckham, der treu sorgende Vater, der dem falschen Mann das falsche Geschäft vorgeschlagen hatte, ist nicht dort gewesen.
Und so hatte er ihr nicht helfen können. Doch Reckham, der im Leben vieles gesehen hatte, konnte sich so einiges vorstellen. Die Geschichten machten schnell die Runde, denn der Mann, den er betrogen hatte sorgte dafür, dass er sie sehr bald hörte. – Mit all den dreckigen Einzelheiten.
Blut – Ehre – Raub
ER hatte ihm seine Tochter genommen.
Reckham kann die Träume im Schlaf nicht abwehren. Das Rauschen des Meeres wiegt ihn in den Schlummer, doch was ihn dort erwartet lässt ihn nicht ruhen. Dort, in der tiefen Schwärze,… - Dort in der dunkelsten Ecke seines Verstandes ist er schutzlos.
Er hatte seiner Tochter und ihrem Gatten nicht helfen können. Und so musste sein Schwiegersohn sterben und sie wurde verschleppt, von einem Mann so grausam, dass selbst Reckham sich nicht gegen die Bilder wehren konnte, die Bilder die ihn immer wieder verfolgten.
Nachts ist es am schlimmsten.

"Warum hast du mich nicht gerettet", hallt es in der Dunkelheit nach. Aber da ist noch etwas ...

Schweißgebadet und mit pochendem Herzen erwacht der alternde Sorcerer. Schreie an Deck ... Segel am Horizont ... keine Zeit zum Nachdenken, die Realität verdrängt schnell die Welt der Träume!

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